In den USA brennen Wälder von der Größe der Schweiz, der Rauch lässt noch bei uns den Himmel rot leuchten. Im kanadischen British Columbia– gelegen in dem gleichen geografischen Breiten wie Nordeuropa – steigen die Temperaturen auf fast 50 Grad Celsius. Nach drei Jahren Dürre ist jeder dritte Baum in Deutschland todkrank, und manchen Gemeinden geht im Sommer 2020 das Wasser aus. Einige Monate später legt sich erst klirrender Frost über das Land, anschließend fällt der Frühling aus, noch im Mai schneit es, und im Juli 2021 gehen Unmengen von Regen über der Eifel und angrenzenden Regionen nieder. Sie vewandeln ganze Dörfer in Trümmerfelder, in denen sehr viele Menschen sterben.
Es ist tatsächlich so, wie Greta Thunberg es herausschreit: Unser Haus Erde steht in Flammen. Und wir benehmen uns wie Kinder bei Gewitter. Wir ziehen die Decke über den Kopf und tun so, als ob es da draußen nicht blitzen und donnern würde. Doch anders als ein Gewitter klingt die Klimakatastrophe nicht einfach nach einiger Zeit ab. Im Gegenteil, sie beginnt gerade erst. Der Permafrostboden auf der Nordhalbkugel schmilzt und setzt gigantische Mengen des Supertreibhausgases Methan frei. Wald und Buschbrände in Australien, Südamerika, den USA und in Russland lassen weit mehr CO2 in die Atmosphäre als alle Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe auf der Welt zusammen. Die schrumpfende Schnee- und Eisdecke der Erde führt dazu, dass weniger Sonnenlicht zurück ins All reflektiert wird und stattdessen Erdboden und Atmosphäre aufheizen. Die Klimakatastrophe verstärkt sich dadurch immer weiter selbst. Es ist höchste Zeit, den Brand unseres Hauses Erde zu löschen, damit zumindest Teile davon bewohnbar und lebenswert bleiben.
Die Schuldfragen – Wer hat am meisten Treibhausgase emittiert? Wer tut am wenigsten gegen die Klimakatastrophe? Gibt es vielleicht sogar einen kleinen natürlichen Anteil am Klimawandel? – sind nur akademisch interessant und vor allem kontraproduktiv. Denn Antworten darauf kosten Zeit und Energie, verschlimmern damit das Ansteigen der Erdtemperatur und vor allem: Sie löschen keine Brände. Dieses Buch soll zeigen, dass es dennoch nicht zu spät ist, dass wir in Deutschland und weltweit noch etwas gegen die Klimakatastrophe tun können.
Deutschland hat der Welt früh gezeigt (und wurde dafür vielfach belächelt), dass Wind- und Solarstrom ein Industrieland antreiben können – heute folgen uns andere Länder darin. In anderen Bereichen hinken wir allerdings hinterher: Von Dänemark und Schweden könnten wir seit Jahren lernen, wie man klimafreundlich heizt. Von Norwegen, wie innerhalb weniger Jahre Autos mit Verbrennungsmotor von der Straße verdrängt werden. Und Portugal demonstriert, dass der billigste Strom der Welt mit sehr großen Solaranlagen produziert wird. Überall auf der Welt liegen also die Puzzleteile für Klimaschutz herum, wir müssen sie nur zusammensetzen. Hätten wir früher damit begonnen, so würden wir Klimaschutz heute kaum merken. Leider ist es wie bei einer Abschlussprüfung in der Schule. Wenn man nicht rechtzeitig anfängt, dafür zu lernen, wird es umso anstrengender, je näher der Prüfungstermin rückt – und irgendwann ist jede Mühe sogar umsonst. Wir befinden uns inzwischen drei Wochen vor der Prüfung und nicht sechs Monate. Diese Aufschieberitis hat das Bundesverfassungsgericht in seinem spektakulären Urteil zum ursprünglichen Klimaschutzgesetz Ende April 2021 scharf gerügt: Es gehe nicht an, so urteilten die Karlsruher Richter, dass Deutschland seine Anstrengungen zum Schutze des Klimas immer weiter in die Zukunft verlagere. Das schränke die Freiheit künftiger Generationen ein – übrigens auch die Freiheit, in Zukunft überhaupt noch Treibhausgase emittieren zu dürfen. «Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten», gibt das Gericht uns allen auf. Aufgeschreckt davon, übersetzte die Bundesregierung unter Angela Merkel und Olaf Scholz den Urteilsspruch sogleich in ein neues Klimaschutzgesetz. Im Kern besagt es, dass wir den Treibhausgasausstoß unserer Häuser, im Verkehr und bei der Stromerzeugung in den Jahren bis 2030 ungefähr halbieren müssen. Etwas großzügiger ist das Gesetz lediglich bei der Landwirtschaft und bei der Industrie, denn dort entstehen Treibhausgase nicht nur bei der Energieerzeugung, sondern auch bei Herstellungsprozessen oder auf dem Acker. Und 2030 ist nur eine Zwischenstation. Bis 2045, so das Ziel des neuen Klimaschutzgesetzes, soll Deutschland unterm Strich gar keine Treibhausgase mehr ausstoßen.
Innerhalb von nicht einmal einer Generation werden wir unser Land grundlegend umbauen müssen. Das ist eine beispiellose Anstrengung, und wir werden in Kauf nehmen müssen, dass sich unser Leben ändert. Wie können die Änderungen aussehen, die uns erwarten, die wir aber auch gestalten können? Das Wichtigste: Eine Energie, die wir erst seit gut 100 Jahren in großem Maßstab nutzen, wird uns in die Zukunft führen – Elektrizität. Denn Strom können wir nicht nur klimafreundlich in so gut wie unendlichen Mengen aus Wind und Sonne erzeugen, sondern seit wenigen Jahren auch billiger als in konventionellen Kraftwerken. Für Biosprit, Holzpellets, Biogas, Wasserkraft und Geothermie gilt diese Universalität hingegen nicht. Sie können deshalb nur eine Nebenrolle spielen. Die Frage, die wir beantworten müssen, wenn es darum geht, klimaschädliche fossile Energieträger aus unserem Leben zu verbannen, lautet daher stets: Wie können wir das Gleiche, was wir bisher mit Kohle, Öl und Erdgas erreicht haben, mit Strom schaffen? Wie lassen wir damit Autos und Lastwagen fahren? Wie Flugzeuge fliegen? Wie bekommen wir damit im Winter unser Haus warm? Wie verhütten wir damit Eisen? Wie produzieren wir damit Dünger?
Als Hauseigentümer müssen wir uns zum Beispiel mit der Aussicht vertraut machen, dass wir in den nächsten Jahren den Gaskessel gegen eine elektrische Wärmepumpe austauschen und am besten auch gleich in eine Gebäudedämmung investieren, damit die Pumpe möglichst wenig arbeiten muss. Denn nach wie vor gilt: Am billigsten und nachhaltigsten ist jener Strom, der gar nicht erst produziert und transportiert werden muss, weil niemand ihn verbraucht. Und wenn wir schon einmal dabei sind: Eine Solaranlage auf jedem Dach wäre nicht schlecht. Denn klimafreundliche Häuser werden in einer Welt, die den Klimabrand zu löschen versucht, mit Sicherheit wertvoller werden. Dass wir mit unserer Haussanierung zusätzlich gut schließende Fenster und Behaglichkeit erhalten, können wir auf der persönlichen Habenseite verbuchen. Wer gerade für viel Geld ein spritfressendes Auto gekauft hat, könnte dessen letzter Besitzer sein, denn in wenigen Jahren hat das Ding nur noch Schrottwert – unverkäuflich, weil ein Brandbeschleuniger. Elektroautos, Fahrräder und öffentlicher Personenverkehr werden uns künftig von A nach B bringen.
Wir werden allerdings akzeptieren müssen, dass sich die Landschaft unserer Kindheit verändert. Denn wir brauchen große Flächen, um Kohle, Öl und Gas durch die Energie von Wind und Sonne zu ersetzen. Was nicht heißt, dass unter Wind- und Solaranlagen kein Vieh weiden und kein Acker bestellt werden kann. Doch an den Anblick von Windparks müssen wir uns weiter gewöhnen, genauso an große Solarkraftwerke. Denn sie liefern als einzige Technologie, was wir in großen Mengen brauchen: emissionsfreien Strom für sehr wenig Geld. Weil die Sonne nachts nicht scheint und der Wind nicht immer weht, gehören Reservekraftwerke mit in die Rechnung – betrieben mit klimafreundlichem Brennstoff, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Genauso werden wir uns Gedanken machen müssen, ob ein Arbeitgeber, der seine Umsätze mit klimaschädlichen Produkten macht, noch lange einen sicheren Arbeitsplatz anbieten kann. Denn wenn Kunden auf der einen und Banken auf der anderen Seite jene Unternehmen meiden, die ihre Klimarisiken nicht im Griff haben: Womit soll ein solcher Arbeitgeber noch Geld verdienen, wo soll er sich Geld leihen und womit Löhne zahlen? Aus dieser Logik heraus werden Unternehmen eher früher als später immer mehr klimafreundliche Produkte anbieten und diese auch von ihren Lieferanten verlangen. Volkswagen gibt mit seiner ge]radezu epochalen Elektroautostrategie dafür ein Beispiel. Für die Mitarbeiter:innen der Unternehmen heißt das natürlich auch: Sie müssen Klimaschutz lernen. Wir alle müssen Klimaschutz lernen.
Die Bundesregierungen seit den 1990er-Jahren haben sich lange verhalten wie unmotivierte Schüler. Sie haben Vokabeln gepaukt – die Auswirkungen des Klimawandels erforschen lassen ebenso wie die Technologien –, aber sie haben nicht gelernt, daraus Sätze und Texte – also eine glaubwürde Klimaschutzpolitik – zu bilden. Jeder, der mit solchen Vorkenntnissen schon einmal eine Englischarbeit geschrieben hat, weiß, dass das der sicherste Weg zur Sechs ist. Erst im Jahr 2019 scheint der Knoten geplatzt zu sein. Deutschland hat nach den meisten anderen EU-Staaten ebenfalls beschlossen, aus der Kohleverstromung auszusteigen, die schlimmste Blockade beim Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik wurde 2020 beseitigt, mit der letzten Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werden endlich ehrgeizige Erneuerbare-]Energien-Ziele festgeschrieben, und die EU hat mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Glasgow im November 2021 ihr Klimaschutzziel so verstärkt, dass Europa bis 2050 klimaneutral werden kann.
Außerdem im Angebot: eine Wasserstoffstrategie, mit der große Teile der deutschen Schwerindustrie in den nächsten Jahren klimaneutral werden können, und ein CO2-Preis auf Erdgas, Sprit und Heizöl, der uns Verbrauchern signalisiert, dass klimaschädliches Verhalten immer mehr Geld kosten wird. Obendrein gab es noch nie mehr Geld für Maßnahmen gegen den Klimawandel: Tausende von Euro für die Käufer eines Elektroautos, für den Austausch von alten Heizungen und die Dämmung von Häusern, Millionen für die Umrüstung von Industrieanlagen und das Abschalten von Kohlekraftwerken, Milliarden für die Strukturentwicklung in Kohleregionen wie der Lausitz – neue Schienenwege, ein schnelles Internet, Forschung für eine klimafreundliche Industrie. Dieses Geld ist, richtig eingesetzt, nicht nur ein Mittel, um die Klimakatastrophe zu bekämpfen, sondern auch ein Investitionsprogramm in die Zukunftsfestigkeit des Landes.
Die Corona-Pandemie hat uns gelehrt, was passiert, wenn man nicht handelt, obwohl auf dem Tisch liegt, was zu tun ist – weil andere Länder es schon vorgemacht haben, weil Forscher:innen sehr gute Argumente und Vorschläge auf den Tisch legen. Sie hat uns mit der «Bundesnotbremse» auch gelehrt, dass Klarheit, Einheitlichkeit, Konsequenz und Entschlossenheit bei Verboten und Geboten Werte für sich sind. Zaudern können wir uns beim Klimaschutz nicht leisten. Denn die Klimakrise gefährdet nicht nur Gesundheit und Leben einzelner Menschen, sondern unser gesamtes Raumschiff Erde mit all seinen Bewohnern. Gleichwohl ist die Corona-Pandemie für das, was wir uns an Veränderungen zumuten müssen, gar keine schlechte Vorbereitung. Sie hat uns gelehrt, dass wir mit Unsicherheit und mit katastrophalen Situationen umgehen können, dass wir uns, wenn es sein muss, innerhalb von Tagen komplett ändern können. Und zwar als ganzes Land. Gelernt haben wir auch, dass Umstellungen zwei Seiten haben: Wir haben Dinge entdeckt, die wir gut finden und weiterpflegen werden – eben weil sie auch ohne den Corona-Zwang einen Wert haben. Es sind Spaziergänge in einer uns bisher unbekannten nahen und doch wunderschönen Umgebung, Treffen mit Freunden auf der Parkbank oder Videoschalten am Frühstückstisch mit weit weg lebenden Verwandten. Ebenso haben wir gelernt, fremde Menschen in Videokonferenzen kennen- und schätzen zu lernen und dass es beglückend sein kann, ins Büro zu fahren, um sich dort mit Kolleg:innen auszutauschen. Ähnliche Effekte wird es auch beim Kampf gegen die Klimakatastrophe geben. Ob es nun weniger Lärm in den Städten sein wird, weil Elektroautos leiser sind, eine Revitalisierung der ländlichen Gegenden, weil dort nun einmal viel Energie geerntet werden wird, oder – so hoffe ich sehr – Dinge, die wir uns heute noch nicht einmal erträumen, die wir aber eines Tages lieben werden
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